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Putins Lächeln

Putins Lächeln

Entschlossen, die Feinde ihrer Feinde gut zu finden, idealisieren Kritiker des Mainstreams Russland — dabei ist das Land nicht unbedingt besser als der Westen, nur anders.

Ende der Siebziger berichtete eine schwedische Delegation bei ihrer Rückkehr, dass Pol Pots Kambodscha ein rundherum tolles Land sei — die „Killing Fields“ sahen sie wohl nicht. „Pol Pot war kein schlechter Despot“ — heißt das, er war gar keiner? Als er 1975 mit seinen Roten Khmer die Macht in Kambodscha übernahm, hatte sein Land eine schlimme Geschichte hinter sich. Große Teile des Gebiets waren seit drei Jahren in der Hand des Generals Lon Nol gewesen: Der hatte geputscht und involvierte die Republik Khmer, wie er seinen Herrschaftsbereich seit seiner Machtübernahme nannte, in den Krieg, gegen das benachbarte und ins Land fallende Nordvietnam. Weite Teile des Landes wurden zudem von den US-Flugkräften bombardiert. Lon Nol akzeptierte diese mörderische Politik, er biederte sich bei Washington an: Das sollte seine Macht sichern.

1975 befürwortete die Mehrheit der Kambodschaner einen Machtwechsel. Die Roten Khmer marschierten in Phnom Penh ein und regelten ab jetzt die Belange des Landes. Dabei gingen sie skrupellos vor, wie wir heute beweisen können. Sie ließen die Städte leeren, enteigneten alle Bürger, ließen sie hart in der Landwirtschaft arbeiten; Zuwiderhandlungen wurden mit Hinrichtung geahndet. Der Vorwurf des „Steinzeitkommunismus“ ging um. Aber für viele im Westen war Pol Pot, Staatschef des Demokratischen Kampuchea, wie das Land nun hieß, ein Hoffnungsträger: Denn er hatte seinem Volk die Würde zurückgegeben.

Berichte aus dem Demokratischen Kampuchea

1978 reiste eine schwedische Delegation in das vermeintlich hoffnungsfrohe Land in Asien. Vier Linksintellektuelle verbrachten zwei Wochen dort; sie bereisten das Land, sprachen mit den Leuten und hatten nach ihrer Rückkehr viel zu erzählen. Der schwedische Autor Peter Fröberg Idling hat im Jahr 2006 ein Buch über diese Reise geschrieben, „Pol Pots Lächeln“ heißt es, eine Mischung aus geschichtlicher Betrachtung, Reisebericht und soziologischer Einordnung — mit hohen literarischen Qualitäten.

Der Autor geht auf den von ihm geschriebenen Seiten der Frage nach: Wie konnte es passieren, dass vier so hochgradig talentierte und kluge Leute so falsch liegen konnten? War es Ideologie — oder haben die Kambodschaner es tatsächlich verstanden, sie derart hinters Licht zu führen?

Hat man extra für ihren Besuch Potemkinsche Dörfer errichtet? Aber wie war das möglich für ein so vollkommen armes Land, in dem es nicht mal zur Errichtung richtiger Dörfer langte?

Fröberg Idling liefert keine eindeutige Antwort, so viel kann man vorwegnehmen. Sicherlich bedingten sich viele Umstände. Aber die intellektuelle Voreingenommenheit schließt er nicht aus. Die vier Schweden waren in jenen Jahren nicht alleine mit ihrer Fehleinschätzung: Viele Delegationen und Beobachter kamen zu dem Schluss, dass das Demokratische Kampuchea einen großen und ganz besonders humanen Versuch unternommen hat, sich von fremden Einflüssen zu lösen. Die westliche Linke zeigte aus gutem Grund Skepsis gegenüber den Vereinigten Staaten; wer sich gegen sie stellte, einen Weg abseits der unipolaren Hegemonialmacht suchte, galt fast automatisch als der gute Gegenentwurf zum schlechten Weltpolizisten.

Der Leser erfährt, wie Koryphäen progressiven Denkens an die kambodschanische Frage herangingen, um sich ein Bild zu machen. Zum Beispiel Noam Chomsky und Edward S. Herman: Die beiden Analytiker verglichen in den Siebzigerjahren drei Berichte miteinander, um herauszufinden, welcher der Wahrheit in Pol Pots Land am nächsten komme. Den Bericht eines französischen katholischen Missionars, der mit geflüchteten Kambodschanern Interviews führte, in denen von Zwangsarbeit, Hunger und Hinrichtungen erzählt wurde, verwarfen sie als falsch, denn Flüchtlingsberichte seien meist überzogen — was in der Natur der Sache liege, denn Flüchtlinge stehen ganz offenbar auf Kriegsfuß mit dem Regime, vor dem sie fliehen.

Dort sein heißt nicht: da sein

Am Ende gaben Chomsky und Herman einem Buch zweier amerikanischer Südostasienkenner den Vorzug. Das war in einem kleinen marxistischen Verlag erschienen, während ein Bericht von zwei Journalisten der konservativen Zeitschrift Reader’s Digest ebenfalls verworfen wurde. Man konnte einfach einem Bericht aus dem Hause einer kommunistenfeindlichen Zeitschrift nichts abgewinnen. In den Augen der beiden Analysten konnte das nur Propaganda sein. Problem: Deren Bericht beinhaltete den Völkermord, während das Buch aus dem marxistischen Verlag zu der Einsicht gelangte, dass die Roten Khmer vernünftig und angemessen Politik betrieben.

War der Vater Wunsch der Gedanken zu Kampuchea? Das lässt sich nicht von der Hand weisen. Die schwedische Delegation ging voreingenommen heran, traf aber auch in dem Land auf Menschen, die es ihnen nicht leicht machten. Sie durften sich frei bewegen, und wohin sie auch kamen, lächelten die Menschen, wirkten zuversichtlich auf die europäischen Gäste. Konnte sich ein ganzes Land verstellen?

Vielleicht lässt es sich so erklären: Die verschiedenen Kollektive in Pol Pots Reich konkurrierten miteinander. Sie hatten Planvorgaben zu erfüllen. Meist ging es um die Ernte von Reis, denn Industrie gab es keine. Das Regime der Roten Khmer war gezielt landwirtschaftlich orientiert, man wollte zurück zu den Traditionen des Landes. Für Industrie, eine westliche Produktionsform, war da kein Platz. Kollektive, die ihre Vorgaben nicht erfüllten, lebten gefährlich. Ja, jeder Einzelne, der seiner Tagesvorgabe nicht gerecht wurde, musste Konsequenzen befürchten. Aus dieser ständigen Furcht entstand das dauerhafte Lächeln. Man zeigte sich zuversichtlich, packte an: Nicht defätistisch zu sein — auch das war ein Wert, den das Demokratische Kampuchea zur Agenda erhob. Die Folge war, dass die Staatslenker gar keinen Überblick über die wahren Zustände im Lande hatten: Man log sie an, weil sie belogen werden wollten.

Dort eine Reise zu machen bedeutete also nicht zwangsläufig, dass man sich ein besseres, ein ehrlicheres Bild machen konnte. Man war dort — aber nicht da; man war zwar physisch anwesend, die Hitze ertragend, ging den psychischen Komponenten einer Existenz in Pol Pots Land aber nicht auf dem Grund. Später sagte eine Teilnehmerin jener Delegation von 1978, dass sie ein, zwei Wochen in einem Kollektiv hätte arbeiten müssen, vielleicht wäre sie dann der Wahrheit auf den Grund gegangen. So war die Reise wertlos — schlimmer noch: Sie vermittelte in der Heimat ein falsches Bild. Dort rumorte natürlich ein publizistischer Kampf um die Deutung und die Wahrheit: Die Presse lüge wie gedruckt, erklärte die Delegation, und die Linke konnte es sich nicht anders vorstellen, als dass die Presse die „Killing Fields“ nur im Namen der US-Propaganda erfunden habe.

Das Gegenteil des Falschen — keine kritische Maxime

Russland ist nicht Kambodscha — nicht alles, was hinkt, taugt als Vergleich. Das heutige Russland ist ein modernes Land, ist nicht kommunistisch und bietet seinen Bürgern durchaus Wohlstand. Ist es aber per se der gute Gegenentwurf zum tatsächlich verlotterten Westen und seinen Werten, die er gerne hochhält, die aber bei genauer Betrachtung auf Doppelmoral und Zynismus gründen? Wird BRICS eine moralische Weltordnung installieren? Etwas, das dem Westen unter Kuratel Washingtons nie gelang? Und dann noch Putin: Ist er nicht so viel besser, weitsichtiger und integrer als der Greis im Weißen Haus, als die lispelnde Außenministerin Deutschlands?

Manchmal hat man bei denen, die dem westlichen Mainstream eine kritische Haltung entgegenbringen, die die NATO-Propaganda erkennen etwa, dann durchaus den Eindruck, dass sie so ein manichäisches, sprich radikal dualistisches Weltbild pflegen. In ihren Betrachtungen kommt Russland nicht als Land vor, das selbst Propaganda betreibt und mit Kritikern drastisch umgeht. Sie erklären das riesige Reich, das sich in Osteuropa und über die Weiten Asiens ausbreitet, zum Hoffnungsträger einer besseren Welt. Hätte jede Nation ein Oberhaupt, das agierte wie eben jeder Wladimir Putin — man könnte froh sein!

Es ist ein großes Problem, dass viele kritische Geister, Linksintellektuelle zudem, einen grundlegenden Fehler begehen: Die Feinde der USA gelten in ihren Augen schnell als Freunde, als Freunde im Sinne von Feinden des US-Imperiums, denen sie zuschreiben, dieselben Werte zu vertreten, die sie selbst verinnerlicht haben. Dabei verlieren sie ihren kritischen Scharfsinn im Hinblick auf diese US-Feinde, im aktuellen Falle: auf Putin.

Hinter Putins Lächeln verbergen sich freilich keine „Killing Fields“ wie damals bei Pol Pot. Sicher, er führt einen Krieg, sein Russland tötet in der Ukraine — aber das haben vor ihm und werden nach ihm andere Staatsmänner auch so halten.

Doch auch in Putins Russland gibt es Ungerechtigkeit, Ausbeutung, es gibt Propaganda und Unterdrückung. Es ist nicht besser als der Westen — nur anders.

Die große Chance auf eine bessere, eine gerechtere Welt sollte man nicht an Putin festmachen. Wer das tut, geht Schlussfolgerungen auf den Leim, die ideologisch eingefärbt sind. Das Gegenteil des Falschen als richtig zu deklarieren ist keine Maxime kritischen Denkens: Man könnte sagen, wer es so hält, denkt nicht kritisch, er denkt so unkritisch wie jene, denen er das vorwirft — nur eben andersherum.


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